Nach meiner Überzeugung beschreibt die Dialektik von Struktur und Bewegung den wesentlichen Gegensatz, der das Universum zusammen und in Bewegung hält. Wenn wir uns in diesen Gegensatz hineindenken, dann finden wir Antworten zu grundlegenden Fragen des Aufbaus der Welt. Für dieses Hineindenken in den Gegensatz werden wir das nutzen, was wir bereits über dialektische Gegensätze wissen.
Die Seiten des Gegensatzes schließen einander aus.
Alles im Universum ist Struktur oder Bestandteil einer Struktur. Strukturen sind Ausdruck von Stabilität. Ihre Teile stehen in einer definierten Beziehung zueinander. Jedes Teil hat seinen Platz und gegebenenfalls seine Aufgabe im Gesamtverbund. Dieser Gesamtverbund wird bestimmt durch die Art seiner Teile. Trotzdem stellt er als Gesamtheit eine eigene Qualität dar, die sich nicht ohne weiteres aus der Summe seiner Teile ableiten lässt.
Alles im Universum ist in Bewegung. Bewegung ist Ausdruck von Veränderung, durch die bestehende Relationen aufgelöst werden. Damit entsteht Unordnung, aus der heraus Neues entstehen kann. Die neuen Strukturen können gänzlich andere Eigenschaften aufweisen als die aufgelösten.
Wenn denn Struktur Stabilität bedeutet und Bewegung Veränderung, dann schließen Struktur und Bewegung einander aus.
Die Seiten des Gegensatzes bedingen einander.
Was bewegt sich denn nun? Strukturen und ihre Teile bewegen sich. Kelvin hat gezeigt, dass beim absoluten Nullpunkt jede Bewegung erstorben ist. Dieser absolute Nullpunkt wird nicht erreicht, weil es in der Natur keine Struktur ohne Bewegung gibt. Darüber hinaus ist jede Struktur Bestandteil einer übergeordneten Struktur und deren Bewegung. Das heißt, auch der Stoff, der im Experiment nahe an den absoluten Nullpunkt gebracht wurde, ist Bestandteil der Bewegung der Erde um sich selbst und um die Sonne. Im Zweifel nimmt alles und jedes an der Ausdehnung des Universums teil.
Umgekehrt braucht jede Bewegung eine Struktur, die sich bewegen kann und/oder deren Teile sich bewegen. Genauso wie jede Struktur Bestandteil einer übergeordneten Struktur ist, genauso ist auch jede Bewegung Bestandteil der Bewegung dieser übergeordneten Struktur, oder, wenn man so will, der übergeordneten Bewegung. Das heißt, die Bewegung des Mondes um die Erde geht in der Bewegung der Erde um die Sonne auf. Die Bewegung der Erde um die Sonne wäre hier die übergeordnete Bewegung gegenüber der Bewegung des Mondes.
Gibt es Bewegung ohne Struktur? Max Planck hat gezeigt, dass Energie in Quanten abgeben wird. Sie sind die kleinsten Strukturelemente dieser Welt. Sie selbst haben keine innere Struktur, das heißt, sie sind nicht aus Strukturelementen aufgebaut, trotzdem folgen die Bewegungen in ihrem Inneren einer bestimmten Struktur, die ihnen eine äußere Form verleiht. Diese Form ermöglicht ihnen wiederum eine Bewegung um sich selbst wie auch die Ausbreitung im Raum.
Es gibt also keine Struktur ohne Bewegung und ebenso keine Bewegung ohne Struktur. Eine Struktur ohne Bewegung würde Erstarrung bedeuten. Eine Bewegung ohne Struktur bedeutete Verlust jeden Zusammenhangs. Struktur und Bewegung bedingen einander. Nur in einem relativen Gleichgewicht beider Faktoren sind sowohl Stabilität wie auch Veränderung möglich.
Die Seiten des Gegensatzes gehen ineinander über.
Wenn man einer Struktur Energie zuführt, dann verstärkt sich die Bewegung ihrer Teile. Wird diese Bewegung zu stark, dann werden die bisherigen Verbindungen gesprengt. Die Struktur verändert sich, sie wird flexibler. Auf diese Weise kann aus einem relativ starren Kristallgitter ein flexibler, das heißt flüssig erscheinender Verbund entstehen. Wird nun dieser Struktur weiter Energie zugeführt, können auch die verbliebenen Bindungen aufgelöst werden. Die Bestandteile bilden nun ein lose gasförmige Gemeinschaft von sich eher chaotisch gebenden Bestandteilen, die versuchen, in den Raum zu entschwinden. Mit anderen Worten, je mehr Energie einer Struktur zugeführt wird, umso mehr löst sich ihr Zusammenhang auf. Struktur geht in ungebundene Bewegung über. Wird den sich frei bewegenden Teilen wieder Energie entzogen, dann brauchen sie die vorher eroberten Bewegungsräume nicht mehr und sie finden sich wieder in kleineren, stabileren Formen zusammen.
Der geschilderte Zusammenhang von Struktur und Bewegung beinhaltet jedoch keinen Automatismus, in dem Sinne, dass Energiezufuhr sofort und in jedem Fall zur Veränderung der Strukturen führt. Strukturen sind in der Lage Energie in einem bestimmten Maße zu integrieren beziehungsweise wieder abzugeben, ohne dabei größeren Schaden zu nehmen. Erst ab einem bestimmten Punkt, der je nach Struktur und äußeren Bedingungen variieren kann, reicht die Selbsterhaltungskraft der Struktur nicht mehr aus. Sie verändert sich grundlegend oder wird zerstört. Mit anderen Worten, das in der Struktur vorhandene Gleichgewicht ist eine in bestimmten Grenzen elastische Größe. In diesem Sinn kann man von einem dynamischen Gleichgewicht sprechen. Wird allerdings der kritische Punkt überschritten, dann verändern sich die Strukturen nachhaltig.
Das Verhältnis von Masse und Energie, als Erscheinungsform des Verhältnisses von Struktur und Bewegung, wird auch mit der durch Einstein berühmt gewordenen Formel E=mc² beschrieben. Indem sie das Verhältnis von Masse und Energie quantifiziert, setzt sie voraus, dass sie ineinander umgewandelt werden können. Die Umrechenbarkeit von Energie in Masse wird auch beim Begriff der Ruhemasse für Elementarteilchen genutzt. Bei der Ruhemasse geht man davon aus, dass die gesamte Energie des Teilchens in Masse übergegangen sei. Diese Annahme ist natürlich eine Krücke, ein Hilfsmittel, weil die Teilchen nicht „in Ruhe“ existieren. Mit der Zusammenfassung von Energie und Masse in einer Größe gewinnt man aber einen Maßstab, um Elementarteilchen miteinander vergleichen, mithin messen zu können. Der aufgezeigte Zusammenhang von Masse und Energie kann nicht nur auf der Ebene der Elementarteilchen gelten, er muss genauso für das Universum in seiner Gesamtheit Gültigkeit besitzen. Wir wissen, dass sich das Universum ausdehnt und dies mit zunehmender Geschwindigkeit. Das heißt, auf die Gesamtheit des Universums betrachtet nimmt die Bewegung zu. Zwangsläufig muss daher die Strukturiertheit des Universums tendenziell abnehmen. Der 2. Hauptsatz der Thermodynamik spiegelt diesen Zusammenhang wider.
Der Übergang von Masse in Energie ist jedoch nicht nur eine Frage der Theorie. Auch technisch, das heißt zur Energiegewinnung, ist er von Bedeutung. Letztlich beruhen Kernspaltung und Kernfusion auf diesem Effekt. Und da ist dann noch die Sonne, die ihre Masse verschwenderisch verbrät und uns mit Energie überschüttet. Die Umwandlung von Struktur in Bewegung, von Masse in Energie stand auch noch mit einem anderen Phänomen an der Wiege der Menschheit, dem Feuer. Was ist Feuer eigentlich? Na ganz einfach – Feuer ist, wenn´s brennt. Und wann brennt es? Wird brennbaren Stoffen Energie zugeführt, dann gehen sie irgendwann in einen gasförmigen Zustand über. Der Flammpunkt ist erreicht, wenn das freigewordene Gas, in der Regel Kohlenstoff, mit dem Sauerstoff der Luft reagiert. Dabei werden wiederum große Mengen an Energie freigesetzt, die dazu führen, dass immer mehr Stoffe zu brennen beginnen. Strukturen lösen sich auf, Energie wird frei.
Umgekehrt würde auf dieser Erde kaum etwas gedeihen, wenn es die ach so freigiebige Sonne nicht gäbe. Ihre Energie ist das Lebenselixier unserer Welt. Insbesondere die Pflanzen vermögen es, mit Hilfe der Sonnenenergie Strukturen aufzubauen, Masse zu erzeugen. Die von den Pflanzen geschaffenen organischen Substanzen waren wiederum die Basis für die Entwicklung der tierischen Vielfalt, zu deren wichtigstem Energiespender sie wurden. Dazu wandeln Tiere die Strukturen der Pflanzen in körpereigene Energieträger um, die sie wiederum zum Aufbau und zum Erhalt der eigenen Strukturen benötigen.
Bereits mit diesen wenigen Beispielen wird deutlich, dass Umwandlungsprozesse von Masse in Energie und umgekehrt allgegenwärtig sind. Sie sind in ihrer Vielgestaltigkeit das, was wir als Entwicklung bezeichnen.
Masse und Energie
Bisher wurden die Begriffe Masse/ Energie und Struktur/Bewegung fast synonym gebraucht. Doch sind Masse und Struktur beziehungsweise Energie und Bewegung wirklich identisch? Falls nicht, ist es notwendig, beide Begriffspaare voneinander abzugrenzen, ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten.
Eine Struktur ist relativ leicht zu charakterisieren. Es ist ein Konstrukt verschiedener Teile, die sich in einer bestimmten Ordnung zueinander befinden und dabei in Bewegung sind. Das Grundprinzip ihres Aufbaus ist häufig durch ein Zentralgestirn, das sich um sich selbst dreht, und Trabanten, die sich um das Zentralgestirn herum bewegen, charakterisiert. Diese Strukturen können unterschiedliche Verbindungen miteinander eingehen. Sie bilden auf diese Weise eine unüberschaubare Vielfalt konkreter Gebilde.
Masse wird in der Physik als schwere Masse oder als träge Masse beschrieben. Es handelt sich hierbei im Kern um Ergebnisse zweier verschiedener Wege zur Bestimmung der Masse von Strukturen. In dem einen Fall nutzt man den Umstand, dass Strukturen bei der Einwirkung einer gleichbleibenden Schwerkraft in unterschiedlichem Maße Gewicht erhalten. In dem anderen Fall wird die Beobachtung verwandt, dass Strukturen bei Einwirkung eines gleichen Energiebetrags, Schwerelosigkeit vorausgesetzt, unterschiedlich beschleunigt werden. Beide Beobachtungen lassen Rückschlüsse auf die Masse der untersuchten Strukturen zu. Die ermittelten Größenverhältnisse der Massen zueinander sind bei beiden Versuchsanordnungen naturgemäss gleich.
Masse hat also nicht wirklich etwas mit Gewicht zu tun. Dort, wo keine Schwerkraft wirkt, dort hat Masse kein Gewicht. Masse hat aber auch nicht wirklich etwas mit Beschleunigung zu tun, denn für die Beschleunigung braucht man immer einen Impuls von außen. Die Vergleiche von Strukturen unter der Einwirkung der Schwerkraft oder mit Hilfe eines Energieimpulses sind also lediglich verschiedene Methoden zum Messen von Massen. Doch noch immer ist nicht klar, was nun Masse eigentlich ist. Von allem Konkreten abstrahiert, ist Masse das, was die Strukturen beinhalten. Insofern sind Masse und Struktur nicht voneinander zu trennen. Masse ist gewissermaßen der Inhalt der Struktur, oder die Struktur ist die Form in der die Masse existiert.
Energie begrifflich zu bestimmen, ist fast noch schwieriger. Ein guter Ansatz scheint mir im altgriechischen Ursprung des Wortes zu liegen – einer Zusammensetzung aus „innen“ und „wirken“. Energie wäre demnach etwas, das aus dem Inneren der Strukturen heraus Wirkungen verursacht. Das, was aus dem Inneren der Strukturen heraus Wirkungen verursacht, sind wiederum Bewegungen. Die Bewegungen selbst sind in ihrer Form vielfältig. Der Inhalt der Bewegung ist jedoch die Wirkung, die Wirkungskraft, die von ihr ausgeht. Insofern sind Energie und Bewegung nicht voneinander zu trennen. Energie ist gewissermaßen die Kraft der Bewegung, oder die Bewegung ist die Form, in der sich Energie äußert.
Dass Masse und Struktur beziehungsweise Energie und Bewegung trotz dieser engen Verknüpfung begrifflich nicht zusammenfallen, soll an einem Beispiel verdeutlicht werden. Alle sich bewegenden Strukturen haben einen Masseaspekt und einen energetischen Aspekt. Deren Verhältnis kann trotz ähnlich starker oder schwacher Strukturierung sehr unterschiedlich ausfallen. So haben Photonen, die nur in geringer Weise strukturiert sind, so gut wie keine Masse. Licht ist in gewissem Sinne Energie pur. Schwarze Löcher hingegen entstehen aus einer enormen Konzentration von Masse. Ihre innere Struktur wird dabei derartig komprimiert, dass sie sich zunehmend auflöst. Schwarze Löcher sind in gewissem Sinne Masse pur. Lichtquanten und Schwarze Löcher haben also beide eine geringe Struktur und doch könnten sie in puncto Masse oder mit Blick auf das Verhältnis von Masse und Energie kaum unterschiedlicher sein.
Struktur und Bewegung sind wechselseitig identisch
Bei den Überlegungen zur Frage, was die Welt im Innersten zusammenhält, waren wir auf die Atomkerne, insbesondere auf die Protonen gestoßen. Die Atomkerne sind die grundlegenden Träger der Masse. Ihre Bausteine, die Protonen und Neutronen, bestehen aus Quarks. Quarks selbst haben keine Bausteine, sie sind reine Energie. Denkt man dies zuende, dann heißt das, dass letztlich alle Masse aus Energie besteht. Umgekehrt zeigen uns die Schwarzen Löcher, wie alle erreichbare Energie einverleibt und in die eine große Masse eingehen kann. In ihrem Einzugsgebiet wird praktisch alle Energie zur Masse. Es existiert also keine starre Grenze zwischen Masse und Energie. Irgendwo ist alle Masse auch Energie und alle Energie kann zu Masse werden.
Struktur und Bewegung vernichten einander
In der Umwandlung von Energie in Masse und Masse in Energie wird ein destruktives Moment sichtbar. Da die Umwandlung jedoch die Rückwandelbarkeit einschließt, kann dieses destruktive Moment aufgehoben, mithin negiert werden. Es gibt jedoch Prozesse, die den Punkt einer möglichen Revision überschritten haben. Bleiben wir noch einmal bei den Schwarzen Löchern. Schwarze Löcher saugen alle erreichbare Masse und Energie in sich auf, wobei sie selbst wenig Energie abgeben. Infolgedessen wird ihre Masse und damit auch der Raum, den die Gravitationskraft dieses Monstrums erreichen kann, immer größer. Immer neue Masse und Energie kommt in den Bereich seines unwiderstehlichen Sogs, der gleichzeitig zu einer Verengung der Bewegungsräume in seinem Innern führt. Mit der Zerstörung von Bewegungsraum nehmen zwangsläufig auch die Bewegungen ab. Da dieser Tendenz nichts entgegenwirkt, verstärkt sie sich aus sich selbst heraus. Ihr destruktives Moment wächst. Masse vernichtet Bewegung. Auf der anderen Seite dehnt sich das Universum immerfort aus. Dabei werden Strukturen aufgelöst. Mit der Verringerung der Dichte der Strukturen verringern sich auch die Kräfte des Zusammenhalts. Die Expansion kann sich immer schneller vollziehen. Da dieser Tendenz nichts entgegenwirkt, verstärkt sie sich aus sich selbst heraus. Ihr destruktives Moment wächst. Energie vernichtet Struktur.
Es scheint, dass von diesen beiden entgegengesetzten Prozessen jeweils einer der dominierende ist. In der jetzigen Phase der Entwicklung des Universums ist es dessen Expansion, deren Primat jedoch nicht ein für allemal gilt. Wahrscheinlich wird dieses Primat irgendwann auf einen Prozess der Konzentration wechseln. Die Erde wird es dann allerdings längst nicht mehr geben.
Was können wir aus diesen Gedanken unserem Wissen über dialektische Gegensätze hinzufügen?
In allen Gegensätzen gibt es ein destruktives Moment, das unter bestimmten Umständen zu einer Zerstörung des Gegensatzes führt. Dies geschieht insbesondere dann, wenn das Gleichgewicht der Kräfte nachhaltig gestört ist. Eine Störung dieses Gleichgewichts führt jedoch nicht sofort, quasi automatisch, zur Zerstörung des Zusammenhangs. Zeitweise Ungleichgewichte, resultierend aus dem Primat einer Seite, gehören vielmehr zu seiner Dynamik, sie machen diese erst möglich. Die dafür notwendige Elastizität des Zusammenhangs ist jedoch begrenzt. Sollte es nicht zu einem Wechsel des Primats kommen, wird irgendwann ein kritischer Punkt erreicht, an dem eine Seite des Gegensatzes und damit der Zusammenhang selbst zerstört wird. Kommt es jedoch zu einem mehr oder weniger regelmäßigen Wechsel des Primats, dann ist ein pulsierender Prozess zu beobachten, den man als die „normale“ Bewegungsform von Gegensätzen begreifen kann.
zuletzt geändert: 28.06.2019